Traditionell
an Christi Himmelfahrt wurden die 37. Blockflötenfesttage eröffnet. Drei Jahre, bedingt
durch die Corona-Pandemie, waren vergangen, seit das Festival rund um das beliebte
Holzblasinstrument zuletzt stattfand. Man blieb in dieser Zeit allerdings nicht untätig
und hat eine grundlegende Umstrukturierung der Festtage vollzogen.
Unter neuer Leitung mit Silke und Joachim
Kunath als Veranstalter und Organisatoren sowie der Blockflötist Maurice Steger als
Intendant ist man von Stockstadt am Rhein nach Bad Kissingen umgezogen. Der
ursprüngliche, durchaus liebevolle Charme von Mehrzweck-, Turnhalle und Campingambiente
ist dem kleinstädtisch mondänen Treiben des reizvollen fränkischen Kurorts gewichen.
Alle Veranstaltungen der Festtage Konzerte, Meisterkurse, Ausstellung u.v.m.
fanden nun im neobarocken Regentenbau statt. Ich nutzte die Gelegenheit, eine Auswahl des
vielfältigen Programms zu besuchen.
Regentenbau und Kurpark in Bad Kissingen (Foto: Ingo Negwer)
Den Auftakt machten am Donnerstagabend
Maurice Steger und die Akademie für Alte Musik Berlin mit Werken von Georg Philipp
Telemann, Antonio Vivaldi und Johann Bernhard Bach. Von Beginn an, in Telemanns virtuoser
Suite a-Moll für Blockflöte, Streicher und Basso continuo, zeigte sich, dass sich hier
zwei kongeniale Partner gefunden haben, die gleichsam eine Sprache sprechen. Die Akademie,
1982 in Berlin gegründet, hat auch nach vier Jahrzehnten nichts an Frische verloren, auch
wenn sie im großen Max-Littmann-Saal nur in einer Minimalbesetzung auftrat: zwei
Violinen, Viola, Cello, Bass, Cembalo und Theorbe bzw. Barockgitarre. Mit Vivaldis
Concerto g-Moll sowie Johann Bernhard Bachs Ouvertüre e-Moll konnten die Berliner
Jubilare unter der Leitung ihres Konzertmeisters Georg Kallweit dennoch überzeugen. Eine
Auswahl aus Telemanns Klingender Geographie zeigte den weiten, offenen Blick des
Barockmeisters auf die europäischen Musikstile seiner Zeit. Hier mischte Maurice Steger
mit verschiedenen Blockflöten, vom Tenor bis zum kleinen Flautino, wieder mit. Das Finale
bildete Vivaldis bekanntes Concerto D-Dur Il Gardellino. Maurice Steger ließ
den kleinen Distelfink in Gestalt des Flautino sehr frei, hoch virtuos und tonmalerisch im
Dialog mit dem Orchester zwitschern. Mit Ovationen des Publikums im leider nicht
ausverkauften Max-Littmann-Saal und einer Telemann-Zugabe endete das Eröffnungskonzert.
Maurice Steger und die Akademie für Alte Musik Berlin beim Eröffnungskonzert
(Foto: Ingo Negwer)
Ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzte
die Konzertreihe der Blockflötenfesttage, wobei auch das Publikum in das künstlerische
Geschehen einbezogen wurde. Schon am Donnerstagnachmittag gab es im Rossini-Saal die
Möglichkeit, unter der Leitung von Simon Borutzki im großen Blockflötenorchester selbst
mitzuspielen. Zu Beginn des Meisterkurses am Freitagmorgen trug der junge Blockflötist
Roman Sauter (12 Jahre) den ersten Satz aus Benedetto Marcellos Sonata d-Moll vor und
ließ sich von Maestro Maurice Steger wertvolle Tipps zu Artikulation, Stilistik und
Bühnenpräsenz geben. Anschließend hieß es noch einmal: Sie, liebes Publikum.
Viele Zuhörerinnen und Zuhörer packten ihre kleinen und großen Blockflöten aus, um
unter der Anleitung von Simon Borutzki den berühmten Gefangenenchor von Giuseppe Verdi
einzustudieren. Eine knapp halbstündige Orchesterprobe mit dem Publikum, deren Resultat
sich durchaus hören lassen konnte.
Ein Highlight des Festivals war das
Abendkonzert mit Flautando Köln. Das Blockflötenquartett wollte sein Programm Heimat
eigentlich schon 2020 bei den Blockflötenfesttagen präsentieren. Die Corona-Pandemie
hatte auch dies verhindert. Nun stellten Susanna Borsch, Susanne Hochscheid, Kerstin de
Witt und Ursula Thelen in Bad Kissingen musikalisch die Frage, was denn Heimat sei. Ist es
die sogenannte Alte Musik, etwa von John Playford? Oder Johann Sebastian Bachs Kunst der
Fuge (Contrapunctus 1 & IX)? Findet man sie in der Folklore fremder Länder? In der
Türkei, in Irland oder Skandinavien? Vielleicht im Mittelalter (Neidhart von Reuenthal)?
Bieten neue Kompositionen ein Stück Heimat? Die kanadische Komponistin Rachel Cogan
(*1968) mit melancholisch wirbelndem Laub Swirling Leaves oder
Jan Rokyta (*1969) mit der Balkanalogy voller südosteuropäischer Rhythmen
standen stellvertretend für diesen Aspekt. Freundschaft, das ist wie Heimat.
Dieses Zitat von Kurt Tucholsky stellten die vier Blockflötistinnen ihrem Programm als
Motto voran. Und jeder bzw. jede konnte den eigenen Standort erforschen. Flautando Köln
jedenfalls hat die Tradition des Consort-Spiels seit Jahren erfolgreich neu definiert und
begeistert weiterhin seine große Fangemeinde mit Homogenität, Stilsicherheit, einer
Fülle an Klangfarben und jeder Menge Spielfreude. Das begeisterte Publikum im nahezu
ausverkauften Rossini-Saal entließ die Musikerinnen erst nach zwei Zugaben.
Flautando Köln in Aktion, v.l.n.r.: Kerstin de Witt, Susanna Borsch, Ursula
Thelen, Susanne Hochscheid (Foto: Ingo Negwer)
Italienische Barockmusik stand im
Mittelpunkt der Matinee am Samstagmorgen. Maurice Steger erläuterte bereits im
Meisterkurs des Vortags, dass es im 18. Jahrhundert Hauptzweck der Musik gewesen sei, die
Zuhörer zu erfreuen. Mit Werken von Ignazio Sieber, Francesco Mancini, Giuseppe
Sammartini und einem gewissen Giacomo oder Lodovico Ferronati zeigten Sabrina Frey
(Blockflöten) und Philippe Grisvard (Cembalo) nun, was es damit auf sich hat. Antonio
Vivaldi durfte in diesem illustren Kreis selbstverständlich nicht fehlen. Mit der
geforderten Virtuosität, klarer, gerader Melodieführung ließ Sabrina Frey die
kammermusikalischen Kleinodien aufleuchten. Philippe Grisvard begleitete sie als
ebenbürtiger Partner und setzte mit Alessandro Scarlattis Toccata VIII und mit der
Toccata Arpeggio von Azzolino Bernardino della Ciaia zwei hörenswerte Akzente. Nach einer
guten Stunde voller Italianità entließ das Duo sein Publikum hoch erfreut in
den sonnigen Tag.
Philippe Grisvard und Sabrina Frey (Foto: Ingo Negwer)
Leider gingen die Tage in Bad Kissingen wie
im Fluge vorbei, ohne dass ich von allen Veranstaltungen berichten kann. Schließlich
versammelte man sich am Sonntagnachmittag im Rossini-Saal zum Abschlusskonzert mit Stefan
Temmingh (Blockflöte), Domen Marincic (Viola
da Gamba, Barockcello) und Wiebke Weidanz (Cembalo). Das Programm vereinte unter dem Motto
Prachtvoll Barock! eine Reihe wohlbekannter und beliebter Werke des 18.
Jahrhunderts. Gleich zu Beginn erklang das Trio F-Dur für Blockflöte, Viola da Gamba und
Basso continuo von Georg Philipp Telemann. Im Anschluss erinnerte Temmingh an seinen
jüngst verstorbenen Lehrer Markus Zahnhausen (1965-2022), dessen Komposition Lux
Aeterna für Altblockflöte solo er quasi ätherisch entrückt mit teils extremem
Pianissimo wiedergab. Nach
diesem außerplanmäßigen Intermezzo folgten Nicolas Chédevilles Sonata VI aus Il
Pastor fido sowie begleitet nur vom Cembalo Georg Friedrich Händels
Sonate h-Moll op. 9/1. Noch einmal stand Telemann mit dem Trio d-Moll in der
außergewöhnlichen Besetzung mit Blockflöte, Diskantgambe und Basso continuo auf dem
Programm, ehe Temmingh und seine Mitstreiter bei Jean-Marie Leclaires Sonata D-Dur op. 2/8
im eleganten französischen Stil schwelgen durften. Stefan Temmingh pflegt ohnehin einen
weichen, flexiblen Blockflötenton, liebt eher den opulenten Schönklang als exzentrische
Kontraste. Dass er darüber hinaus die virtuose Bravour beherrscht, stellte er
schließlich in Francesco Maria Veracinis Sonata g-Moll op.1/1 unter Beweis. Im
Schlusssatz Postiglione ging geradezu die Post ab, was
das Publikum zu tosendem Applaus und Bravo-Rufen bewegte. Mit Johann Sebastian Bachs
Siciliana aus BWV 1031 klangen die Blockflötenfesttage friedlich aus.
Domen Marincic,
Wiebke Weidanz und Stefan Temmingh. Maurice Steger als stiller Beobachter im
Hintergrund (Foto: Ingo Negwer)
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